Die Entlassung war notwendig
Das Programm der Ampel-Koalition war verfasst worden, bevor Russland die Ukraine überfiel. Rückblickend kann man sagen: in dem Moment, als Putin seiner Truppen in Bewegung setzte, wurde fast alles Makulatur, was verabredet worden war. Aber trotz „Zeitenwende-Rede“ ist die Brutalität dieser Veränderung erst nach und nach bewusst geworden.
Eine Koalition eingehen bedeutet: ausloten, was man realistisch gemeinsam erreichen kann. Volker Wissing hat das am vergangenen Sonntag bemerkenswert klar in der F.A.Z geschrieben. Und was realistisch ist, ändert sich eben auch zuweilen. Durch neue Kriege in der Ukraine, in Israel. Und wer weiß schon heute, was im kommenden Jahr in Taiwan geschehen mag.
Jetzt war ein lästiges Thema dran: die abschließende Haushaltplanung. Verteilen der knapper gewordenen Mittel. Und die Frage, ob man durch die Erklärung einer „Haushaltsnotlage“ etwas beim Namen nennt, was ohnehin allen bewusst ist. Und was durch den Taschenspielertrick der „Sondervermögen“ nur kaschiert wird.
Wer in dieser Phase mit einem Grundsatzpapier das pragmatische Handeln der eigenen Regierung blockiert, handelt verantwortungslos. Der damals noch der FDP angehörende Volker Wissing hatte genau dies am vergangenen Sonntag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geschrieben. Er hatte sich damit gegen die Blockadehaltung seines Parteifreunds Lindner gestellt. – Ein bemerkenswerter Beitrag, der von hohem Verantwortungsbewusstsein zeugt.
Lindner aber blieb dabei, der Profilierung der FDP den Vorrang zu geben gegenüber der Verantwortung für das Land. – Die Entlassung wurde dadurch unumgänglich. Im Rückblick kann man sagen: Sie war wohl einfach überfällig.
Regeln einer demokratischen Gesellschaft
Das wesentliche an unserer Ordnung ist nicht, dass wir zuverlässig „die Besten“ ins Parlament wählen. Wir hoffen das zwar, aber man kann sich irren. Menschen ändern sich, oder sind den Anforderungen des Amtes nicht gewachsen. Auch Sozialdemokraten würden nicht behaupten, dass sie automatisch (!) der bessere Kandidat wären.
Das Wesentliche an unserer Ordnung ist, dass jemand mit politischer Macht nicht zu viel Schaden anrichten kann. Dass man die Macht wieder aus seinen Händen nehmen kann. Dass diese Machtübergabe friedlich erfolgt und dabei keine Gewalt angewendet wird.
Damit das funktioniert, gilt es einige Regeln zu beachten.
1. Hast und Eile gefährden die Wahl.
Es klingt so verlockend und kraftvoll: die Wahlen müssen „jetzt gleich“ stattfinden.
Aber damit eine Wahl glaubwürdig ist, damit sie die friedenstiftende Funktion ausüben kann, muss sie solide vorbereitet werden. Wenn etwas schiefgeht, ist das keine Bagatelle. Welche Konsequenzen Organisations-Fehler haben, das konnte man unlängst am Beispiel der zu wiederholenden Wahlen in Berlin sehen.
Das sollte eigentlich allen Demokraten eine ernsthafte Warnung sein. Wer zur politischen Profilierung „schnelle Wahlen“ fordert, der ignoriert damit Warnungen der Wahlleiter. Er gefährdet damit das Funktionieren dieser demokratischen Grundfunktion.
Er bereitet die nächste Welle der Verschwörungserzählungen vor; die spalterischen Trolle von AFD und Putin brauchen sich dann nur noch zu bedienen.
2. Streit ist wichtig.
Streit ist kein Hindernis auf dem Weg zur politischen Aktion, sondern eine unentbehrliche Voraussetzung, am Ende weise zu handeln.
Dieser letzte Satz ist ein Zitat. Es stammt vom athenischen Feldherr Perikles aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Es lohnt sich, auch heute sich die damalige Lage vor Augen zu halten. Athen befand sich im Krieg mit Sparta.
Man kann in vielerlei Hinsicht sagen, dass damals Sparta eine ähnlich rassistisch-militaristische Rolle wie in der heutigen Welt „Russlands“ spielte! Dieser Macht gegenüber stand Athen: eine weltoffene Stadt, die vom Handel lebte. Und in der – weil das mit internationalem Handel automatisch verbunden ist! – Respekt und Toleranz gegenüber Fremden verteidigt wurde.
Perikles wies in seiner Rede – es war die Totenehrung der Gefallenen Soldaten – auch darauf hin, dass diese Werte nach außen und innen gelten. Auch im Streit mit dem politischen Gegner, auch im täglichen Umgang miteinander. „Die Freiheit, derer wir uns erfreuen, gilt für alle Bereiche. Wir verdächtigen einander nicht, wir nörgeln nicht an unserem Nachbarn rum – nur weil er es vorzieht, etwas anders zu leben als wir…“
Diese Ermahnung ist leichter gesagt als getan. Aber wir sollten versuchen, sie zu beherzigen wenn es jetzt in den Wahlkampf geht. Unsachlichkeit und Dämonisierung des politischen Gegners befördert nur das Geschäft der Populisten.
3. Sozialdemokratie – streitbar und pragmatisch seit 1863
Populismus kann Wahlen gewinnen. Mit Vereinfachung, Verächtlichmachung, Hetze, Angst, Halbwahrheiten und ausgemachten Lügen… Die Versprechen klingen handfest: „grundsätzlich neu anfangen…“, „alles anders machen, als bisher….“, „wenn nur die Bürokratie nicht wäre!“, „das ganze System muss weg…“
Aber Populismus versagt in der Regierungsverantwortung. Nach gewonnener Wahl kommt der Realitätsschock. Man kann ja mal bei Herrn Sesselmann schauen, was unter AFD-Führung im Landkreis Sonneberg besser geworden ist.
Sozialdemokratie spielt grundsätzlich in einer anderen Liga. Wir versprechen keine einfachen Lösungen. Wir gehen von der Lage aus – vom Status Quo. Wir arbeiten an Verbesserungen in konkreten Schritten, ohne unsere Gesellschaft im Ganzen in Frage zu stellen. Weil es wichtig ist, eine Sache zu verstehen, bevor man sie ändert. Zusammenhängen, Sachzwängen, Zielkonflikten…
Wenn wir um das Vertrauen der Wähler werben, dann nicht deswegen, weil wir „alles besser wissen“, „moralisch auf der guten Seite stehen“, „die besseren Menschen ins Rennen schicken“… Wir bewerben uns um Verantwortung, weil wir ernsthaft an Lösungen für anstehende Probleme arbeiten. Ohne Scheuklappen, und ohne Hetze.
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