Wissenschaft und Wissenschaftsverlage

Noch einmal der Begriff „Heimat“: ich fühle mich in der Branche, in der ich arbeite, am richtigen Platz. In der Gemeinschaft der Wissenschaftsverlage bin ich beheimatet.

Wie jede Heimat ist sie zunächst das Ergebnis unendlich vieler Zufälle. Und dann hat es aber auch mit Einstellung zu tun: mit dem Willen, den Platz, an den einen das Leben gestellt hat zu akzeptieren. Und ihn mit Sinn zu füllen.

Zufälle

Zufall war, dass ich – während ich an einer Promotion arbeitete – eine Stellenanzeige entdeckte. Produktmanagement in einem Fachverlag: WEKA; ein Verlag der praktische Ratgeber in Loseblattform publizierte.

Der richtige Einstieg für mich. Von der ersten Minute an war „Produktmanagement“ – diese Verbindung von inhaltlicher und wirtschaftlicher Verantwortung – mein Ding.

Einige berufliche Stationen weiter hatte ich dann die Aufgabe, für den Berliner Verlag Walter de Gruyter „Business Development“ mit diesem „Internet“ zu machen“. Das war 2001; die Dotcom-Blase war noch prall gefüllt. Ich entdeckte bald, dass die Wissenschaftlichen Bibliotheken in den USA Interesse an elektronischen Ausgaben unserer Zeitschriften hatten.

Der zweite entscheidende und glückliche Zufall: ich betrat die Branche des „STM-Publishing“ (STM = Science, Technology und Medicine). Und lernte ich gründlich kennen.

Für Walter de Gruyter baute ich die Online-Plattform, um Bücher und Zeitschriften zu vermarkten. Als freiberuflicher Berater half ich Verlagen in den USA, England, Europa, Singapur bei der Geschäftsentwicklung. Die aktuelle Beschäftigung führte mich für einen medizinischen Verlag nach Stuttgart; und damit nach Kernen/Stetten.

Irrtum, Korrektur, Fortschritt

Wissenschaft ist die Triebfeder unseres Lebens in Sicherheit und Wohlstand.

Das „Wissen“ der Welt ist eine unglaubliche Gemeinschaftsleistung der Menschheit – über Jahrhunderte hinweg und über regionale Grenzen hinaus. Dabei erweist sich das meiste, was in Forschungslaboren herausgefunden wird, eigentlich über kurz oder lang als falsch.

Aber genau das – die Bereitschaft, sich korrigieren zu lassen – macht Wissenschaft aus. Der methodische Zweifel: ich lege den Fachkollegen meinen Forschungsstand vor und ziehe meine Schlüsse. Aber wenn jemand meine Forschungsergebnisse korrigiert, verbessert oder widerlegt, beharre ich nicht auf alten Annahmen.

Diesen Dialog der Wissenschaften bildet die Zeitschriftenwelt ab. Wir wissen nur deshalb, WAS wir wissen, weil wir erkennen können, welcher Wissenschaftler sich im Dialog mit den Fachkollegen als mit seiner Forschung als „glaub-würdig“ erwiesen hat.

Und an diesem Punkt kommen Marktmechanismen der Zeitschriftenbranche ins Spiel. Sie erleichtern Orientierung und bewirken damit quasi automatisch, dass sich unser Weltwissen langsam – aber verlässlich – erweitert:
Wenn die Erwerbungsabteilung einer Bibliothek Zeitschriftenabonnements auswählt, dann ist das Budget naturgemäß begrenzt. Abonniert und gekauft wird daher das, was sich im Urteil der jeweiligen Fakultätsmitglieder oder Fachbibliothekare als relevant und glaubwürdig erwiesen hat. (Die Kriterien, an denen man das im Einzelnen erkennt, würden ein eigenes Kapitel füllen)

Dadurch dass der fachlich spezialisierte (!) Leser oder Bibliothekar mit Entscheidungen über sein Budget trifft, hilft er schon bei der Orientierung im Informations-Dschungel.

Open Access – be careful what you wish for!

Aus Verlagssicht bedeutet das: die Zeitschrifteninhalte müssen relevant und glaubwürdig sein. Sie dürfen also nicht alles veröffentlichen, was als Artikel eingereicht wird. Die teuersten Zeitschriften veröffentlichen nur etwa jeden zehnten Artikel; weil nur er die Qualitätskriterien erfüllt.

Wer sich im Bestand einer Bibliothek informiert, wird besser bedient, als wenn er zuhause kostenlose Texte aus dem Internet aufruft. – Obwohl es doch so bequem ist.

Und obwohl seit mehr als zwei Jahrzehnten unter dem Label „Open Access“ genau dies gefordert wird. Wissenschaftliche Zeitschriften sollten für jedermann kostenlos im Internet verfügbar sein, Praktisch bedeutet das: der Autor (oder sein Finanzier) bezahlen für die Veröffentlichung.

Hier zeigt sich einmal mehr, was das Gegenteil von „gut“ ist: nämlich „gut gemeint“. Die Realität zeigt, dass mittlerweile die Artikel-Produktion weltweit nahezu unkontrolliert zunimmt. Das meiste ist frei im Internet aufrufbar. – Aber anstelle von Orientierung ist eine unübersichtliche Mischung aus (wenigem) Relevanten und unübersehbar viel irreführenden Forschungsergebnissen getreten.

Das Geschäftsmodell „Open Access“ aus Verlagsperspektive habe ich vor einigen Jahren einmal in einem Buchbeitrag beschrieben.

Und die Ursachen und Wirkungen schlechter medizinischer Forschung hat. Richard Harris in seinem Buch beschrieben: How Sloppy Science Creates Worthless Cures, Crushes Hope, and Wastes Billions, 2017

Sinn

Dieses System und die damit verbunden Prozess zu verstehen, hat mir – wie auch vielen Kollegen aus der Branche, mit denen ich darüber gesprochen habe – ein Gefühl vom Sinn der eigenen Arbeit vermittelt.

Einen ersten Einblick in dieses System bietet der geschichtliche Zugang. – Hier biete ich einen kurzen Überblick dazu.