„Schneller“ ist selten „besser“

…So lässt sich zusammenfassen, was Dennis M. Gorman in einem Beitrag für die Zeitschrift Learned Publishing zusammenträgt. Er befasst sich mit dem Open Access Verlags MDPI und weist aus der Perspektive des Epidemiologen auf einige beunruhigende Beobachtungen hin.

Konkret hat er Publikationen zum Thema COVID der vergangenen vier Jahre untersucht. Also bis zur Pandemie und im Verlauf der Pandemie. Wie viele Artikel wurden Publiziert, wie viele der eingereichten Manuskripte wurden abgelehnt, wie schnell verlief die Qualitätsprüfung (Peer Review) etc.

Das „International Journal of Environmental Research and Public Health” (IJERPH) verzeichnete während der Pandemie einen deutlichen Zuwachs an Artikeln zum Thema COVID. „Natürlich….“ mag man denken; aber der Zuwachs war bei IJERPH deutlicher, als bei anderen Zeitschriften. – Das war der Anlass, genauer hinzusehen.

Wenn ein Autor einen Artikel bei IJERPH einreicht, bekommt er innerhalb von durchschnittlich (!) drei Wochen die Nachricht, ob sein Artikel publiziert wird. Und man kann sagen: meistens ist der Bescheid positiv. Etwas mehr als die Hälfte der Manuskripte wird am Ende auch akzeptiert.

Das ist bemerkenswert, wenn man es mit den Werten anderer Verlage vergleicht. Eine Veröffentlichung bei IJERPH erfolgt schneller mit einer höheren Akzeptanzrate und auch schneller als bei anderen Zeitschriften. Bemerkenswert aber auch, wenn man sich die üblichen Schritte vor Augen hält, bis ein Artikel akzeptiert wird. Von der ersten Sichtung über die Suche und Ansprache geeigneter Reviewer, dann das eigentliche Review, ggf. Reaktionen der Autoren auf das Gutachten, Prüfung des wieder eingereichten Manuskripts…)

Vieles davon kann durch Software und ein gut ausgestattetes Redaktions- und Herstellungsteam beschleunigen. MDPI gibt an, dass 5000 Mitarbeiter weltweit in diesem Prozess beschäftigt sind. Mit dieser „Manpower“ im Hintergrund war der Verlag in der Lage, die stark erhöhte Zahl von Artikeln in gleichbleibender Geschwindigkeit zu veröffentlichen. Auch die Quote akzeptierter Manuskripte blieb gleich.

Für die Autoren ist das attraktiv. Die Zahl der Veröffentlichungen ist im akademischen Betrieb direkt karriererelevant. Sie spiegelt den Arbeitsmarktwert des Autors. Je schneller (und wahrscheinlicher) eine Publikationszusage zu erwarten ist, desto besser.

Für den Verlag ist es eine „Gelddruckmaschine“.  MDPI finanziert sich aus den Publikationsgebühren (APC) der Autoren. Jeder publizierte Artikel erhöht den Umsatz. Und weil die Kosten vor allem fix sind – nicht variabel – steigt zugleich die Profitabilität.

„Win-win“ also…? – Nicht wenn man einen Dritten in den Blick nimmt. Wer belastbare Forschungsergebnisse sucht, würde eine gründliche Qualitätsprüfung gegenüber eine schnellen sicher bevorzugen. Der Leser spielt beim Geschäftsmodell „Publikation gegen Geld“ eben keine Rolle als Zielgruppe.

Im Gegenteil: die offensichtliche Flüchtigkeit beim Publikationsprozess setzt sich in der Autmerksamkeits-Ökonomie fort. Unter den meistzitierten Artikeln zum Thema COVID finden sich wiederum zahlreiche Artikel der MDPI-Zeitschrift. Und darunter wieder auffällig viele, bei denen Dennis M. Gorman – da kommt seine Rolle als Epidemiologe zur Geltung – methodische und statistische Schwächen erkennt.

Anders gesagt: die meistzitierten Artikel bieten keine belastbaren Forschungsergebnisse. Sie bringen der Menschheit keine bessere Gesundheitsversorgung.

Es hilft kein Lamentieren. Die Karrieremechanismen der Wissenschaft sind wie sie sind: viele Publikationen, hohe „Citation“-Zahlen… sind Voraussetzung für berufliches und wirtschaftliches Vorwärtskommen.  Und das schafft genau diesen Markt: der Autor ist der Kunde; nicht mehr der Leser.

Die Nachfrage stimuliert das Angebot. Publikation gegen Geld fördert die Karriere der Autoren und den Umsatz des Verlags.

Was man sich als Verleger im Wissenschaftsbetrieb aber fragen darf ist: warum bin ich eigentlich in dieser Branche tätig?

Und da kann ich nur persönlich werden. Nach Stationen in anderen Sparten der Verlagswelt bin ich seit 2001 für Wissenschaftsverlage tätig. Und was mich an dieser Sub-Branche immer fasziniert und festgehalten hat, war ein Gefühl von „Sinn“. Der Vorsatz, mit meinem Tun als kleines Rädchen doch den Fortschritt der Wissenschaft zu unterstützen.

Was ich immerhin bemerkenswert finde: dass es neben dem Massengeschäft (Paid Open Access) dann doch immer noch das Qualitätsgeschäft des Abonnements gibt. Und was Hoffnung macht, ist, dass Qualität dann am Ende doch noch unterscheidbar sein wird.

Dabei spielt übrigens auch Print eine Rolle. Print ist nämlich alles andere als „tot“. Aber das wäre dann schon wieder ein anderes Thema.