Die Erfindung der Zeitschrift

Wissenschaft und Kommunikation im Zeitalter de Postkutschen

Zeitreise – zurück ins 17. Jahrhundert. Das Jahrhundert, in dem beispielsweise Isaac Newton oder Gottfried Leibnitz wirkten. Philosophie und Wissenschaft waren noch weitgehend dasselbe: die Forscher der Zeit nannten sich „natural philosopher“, „Naturphilosophen“. – Ich verwende mal im Folgenden den Begriff Gelehrte.

Wenn man als Gelehrter eine Beobachtung machte oder ein Experiment durchführte, das man für bedeutsam hielt. Wollte man davon den Kollegen berichten. – Was tat man? Man schrieb einen Brief.

Quer durch Europa – sagen wir von London nach Florenz – brauchte der Brief mit der Postkutsche oder berittenem Kurier einige Tage oder Wochen. Dann wussten ZWEI Gelehrte von dem Experiment. Um einen DRITTEN zu informieren, musste man wieder einen Brief schreiben… – Und so fort.

Die Royal Society

Gut war es natürlich, wenn man sich persönlich begegnen konnte. Wer es sich leisten konnte, reiste daher und besuchte seine Kollegen reihum. Wo man nah beieinander wohnte – sagen wir im Umkreis London, Cambridge, Oxford konnte man sich öfters treffen. In London formte sich zu solchen Treffen ein „Invisible College“; man traf sich selbstorganisiert zu Vorträgen und Diskussionen. 1660 entstand das, was einige Jahre später die Royal Society wurde. Oder vollständig: „The Royal Society of London for Improving Natural Knowledge”.

Die Mitglieder, die im Großraum London lebten, trafen sich regelmäßig, um einander von ihren Forschungen zu berichten. – Heute würde man sagen: eine wissenschaftliche Konferenz im Wochentakt.

Eine Art Copyshop…

Allerdings konnten nicht alle Mitglieder jede Woche in London sein. Die Society hatte Mitglieder aus ganz Europa; und Reisen per Kutsche braucht seine Zeit…  Um dennoch im Austausch zu bleiben, griff man dann doch zu Paper und Feder und schrieb Briefe. Die Society war so etwas wie das kommunikative Drehkreuz, der Hub. Man schrieb einen Brief nach London; und der Sekretär der Royal Society informierte die übrigen Mitglieder per Brief.

Für die Rolle des Sekretärs brauchte man also einen gut vernetzten Gelehrten, der den Austausch – englisch „transaction“ organisierte. Einer der best-vernetzten Gelehrten war Henry Oldenbourg. Ein Theologe aus Bremen, der durch Europa gereist war und entsprechend gut vernetzt war. Privatlehrer einiger adliger Sprösslinge in London. Henry Oldenbourg wurde zum Sekretär berufen wurde.

Briefe lesen, schreiben oder diktieren. Und auch die Beobachtungen, die bei den wöchentlichen Treffen ausgetauscht wurden weitergeben…  Kein ruhiger Job.

… jetzt einfacher: gedruckt mit beweglichen Lettern

Nun war zweihundert Jahre zuvor – um 1450 – das Internet der ersten Generation entwickelt worden. Johannes Gutenberg hatte den Druck mit beweglichen Metall-Lettern erfunden. Henry Oldenbourg wurde inspiriert durch eine französische Zeitschrift – das „Journal des sçavans“. Anstatt hunderte von Briefen zu schreiben, fasste er die Neuigkeiten zusammen, ließ sie einmal im Monat drucken und verkaufte die drei bis vier Blätter für einen Shilling. Er nannte die Sammlung „Philosophical Transactions“.

Die Philosophical Transactions erscheinen bis heute. Mehr als 350 Jahre lang. Gedruckt, aber natürlich mittlerweile auch Online. Wenn man alle Ausgaben in der Bibliothek einsieht, nimmt steht man vor 50 Meter Regalfläche.[1]

Das macht aber niemand. Man kann die Zeitschrift mittlerweile selbstverständlich auch online aufrufen. – Open access. Über JSTOR.org bekommt man die ersten zehn Jahre; und alle übrigen Ausgaben über die Seite der Royal Society

Damit war die Wissenschaftliche Zeitschrift erfunden

Die Philosophical Transactions enthielten schon nach wenigen Ausgaben sämtliche Elemente, die bis heute charakteristisch sind für dieses spezifische Genre „Scientific Journal“:

  • Der Autor wurde genannt; damit wurde die Entdeckung ihm zugerechnet.
  • Das Datum der Veröffentlichung; damit wurde geklärt, wer die Beobachtung als erster gemacht hatte. (Das ist so relevant, dass es uns noch ein paarmal heute beschäftigen wird)
  • Die Beobachtung wurde kurz zusammengefasst; der Abstract war da (noch vor dem Volltext!)
  • Wenn Quellen anzugeben waren, wurden diese genannt. (References)
  • Wenn Irrtümer bekannt wurden, wurden diese korrigiert (Errata)
  • Bald wurden nur solche Beiträge aufgenommen, die zuvor von einer Kommission der Royal Society akzeptiert wurden. (Peer Review)
  • Begleitschreiben des Herausgebers zu jeder Ausgabe (Editorial)
  • Inhaltsübersicht zu jeder Ausgabe (Table of Content, TOC)

Alle diese Merkmale sind bis heute konstitutiv oder mindestens typisch für jede Zeitschrift, die sich als „wissenschaftlich“ bezeichnet.“ Egal, ob online oder gedruckt.

Diese Merkmale markieren auch in gewisser Weise die „Wachstumsspalten“ der Branche. Hier entstehen gerade in der Online-Welt neue Funktionen, Services, Produkte.


[1] Angabe aus Video der Linda Hall Library auf Youtube: „Philosophical Transactions of the Royal Society – A Linda Hall Library Paper Cut“    https://youtu.be/f4qu4HUOQAo